Einsparungen lassen Krankheiten wieder ansteigen!

Gespräch mit Stefan Pospiech, 6. Mai 2020

Stefan Pospiech (Foto: André Wagenzik)
Stefan Pospiech (Foto: André Wagenzik)

Herr Pospiech, der Kongress „Armut und Gesundheit“, den Sie und Ihr Team alljährlich organisieren, gehörte Anfang März zu den ersten Veranstaltungen in dieser Stadt, die aufgrund der Corona-Krise abgesagt wurden. Haben Sie schon Möglichkeiten gefunden, wie Interessierte zukünftig online auf die geplanten Kongress-Inhalte zugreifen können?

 

Wir haben allen Beteiligten angeboten, ihre Veranstaltungen per Audiomittschnitt oder Videokonferenzen umzusetzen oder uns eine schriftliche Beitragszusammenfassung zukommen zu lassen. Von diesen Angeboten haben viele Gebrauch gemacht, so dass wir nun die Beiträge sukzessive online stellen können (www.armut-und-gesundheit.de). Weitere werden folgen, so dass wir einen großen Teil der Diskussionen digital abbilden können. 

 

 

Sie sind Geschäftsführer von Gesundheit Berlin-Brandenburg e. V., einer Arbeitsgemeinschaft, die sich zusammen mit ihren Mitgliedern die Gesundheitsförderung zum Ziel gesetzt hat. Was sind die aktuellen Themen, die für sie in der Geschäftsstelle und die Mitglieder des Vereins im Mittelpunkt stehen?

 

Wir erleben gerade, dass die Gesundheit als politisches Ziel oberste Priorität hat. Unser Verein verfolgt mit seinen Mitgliedern in erster Linie den Zweck, zusammen mit den Menschen gesunde Lebensräume zu entwickeln, seien es Bildungseinrichtungen, Betriebe oder Stadtteile. Dabei steht für uns im Vordergrund, gleiche Gesundheitschancen für alle zu schaffen.

 

Derzeit steht für viele Mitglieder des Vereins an erster Stelle, den Infektionsschutz und die medizinische Versorgung sicherzustellen. Andere unserer Mitglieder, und auch die von der Geschäftsstelle des Vereins betreuten Projekte, bauen pragmatisch und schnell Angebote für diejenigen Professionellen und Ehrenamtlichen auf, die Hilfen und Beratung leisten oder setzen eigene Hilfsangebote um.

 

Wichtig ist auch, gemeinsam mit den Mitgliedern bereits jetzt Strategien und konkrete Ansätze zu entwickeln, die die Folgen der Maßnahmen zum Infektionsschutz auf die Gesundheit in den Blick nehmen. Denn die Krise verschärft gesundheitliche Problemlagen, wo sie bereits vorher bestanden haben und schafft neue.

 

 

Gesundheit Berlin-Brandenburg e. V. ist Mitglied bei uns in der Landesarmutskonferenz Berlin. Welche Rolle spielen derzeit soziale Fragen, das Thema der sozialen Gerechtigkeit mit Bezug auf die Menschen, denen es bisher (auch) finanziell nicht gut ging?

 

Den Zusammenhang von Armut und Gesundheit thematisiert unser Verein über den Kongress seit über 25 Jahren. Allgemein wird davon ausgegangen, dass wir in eine wirtschaftliche Krise geraten. Dadurch verschärft sich die schon bestehende Ungleichheit nochmals. Ungleiche Gesellschaften, so formulierte es der Sozialepidemiologe Richard Wilkinson 2009 in seinem Buch „The Spirit Level“, sind weniger solidarisch, ineffizienter und ungesünder. Es ist zu befürchten, dass in dieser Krise besonders diejenigen betroffen sind, die vorher so gerade noch über die Runden kamen. Wenn sich die Lebensbedingungen verschlechtern, durch den Verlust des Arbeitsplatzes, durch Verschuldung, durch schlechtere Wohnverhältnisse, dann wirkt sich das auf die Gesundheit aus. Die auftretenden gesundheitlichen Belastungen durch finanzielle Probleme, fehlende soziale Kontakte, belastende Familienkonstellationen, ungleiche Chancen an den digitalisierten Bildungsangeboten teilzunehmen, treffen Menschen mit wenigen Ressourcen stärker. 

 

 

Wie ordnen Sie die Einsparungen ein, die wir gerade beobachten?

 

Der Medizinsoziologe Nico Dragano von der Universität Düsseldorf macht auf Grundlage von Studien darauf aufmerksam, dass in der letzten Finanzkrise 2008 die Länder besser gefahren sind, die nicht am Sozialsystem gespart haben. Dort, wo beispielsweise Präventionsprogramme und Informationskampagnen eingestellt wurden, um Einsparungen zu realisieren, hatte dies gravierende Folgen: Infektionskrankheiten wie HIV/Aids und Tuberkulose sind wieder angestiegen.

 

 

Die wirtschaftlichen Folgen der Corona-Krise sind schon jetzt an vielen Stellen sichtbar. Zu existentiellen Sorgen kommen bei vielen Menschen noch verstärkt psychische Probleme, für die es in Zukunft entsprechende Angebote geben muss. Wie sehen Sie die Stadt auf den wachsenden Bedarf vorbereitet?

 

Hier muss unterschieden werden zwischen mittel- und langfristigen Gesundheitsproblemen, und solchen, die als akute psychische Krisen auftreten. Diese werden kurzfristig vermehrt zu beobachten sein, da die existenziellen Probleme und Sorgen dies befördern. Gerade bei denjenigen, die eine psychische Vorbelastung wie Depression haben, sind schnelle Reaktionen des Versorgungssystems wichtig.

 

Auch hier gilt leider: Da, wo es bereits vor der Krise Schwierigkeiten durch personelle Engpässe oder fehlende Angebote gab, kommt dies nun noch mehr zum Vorschein. Besonders, da viele Fachkräfte aus den Gesundheitsämtern oder Beratungsstellen selbst nur eingeschränkt arbeiten können oder mit Aufgaben des Infektionsschutzes betraut sind. In der Beschwerde- und Informationsstelle Psychiatrie bekommen wir vermehrt Rückmeldungen zu Versorgungsproblemen aufgrund von CoVid-19.

 

 

Ihnen ist es wichtig, nach vorne zu schauen und heute Weichen für die Zukunft zu stellen. Was muss, was sollte getan werden? Wen sehen Sie in der Verantwortung? Was wollen Sie selbst als Arbeitsgemeinschaft tun, um sich einzumischen oder einzubringen? Haben Sie Ideen, wo es die Landesarmutskonferenz Berlin in Zukunft verstärkt tun sollte?

 

Eine der wichtigsten Aufgaben wird sein, die sozialen Sicherungssysteme zu erhalten und an vielen Stellen sogar auszubauen. Dass die Dienstleistungsangebote der Sozialwirtschaft grundsätzlich in den Corona-Schutzschirm der Bundesregierung einbezogen sind, ist sehr zu begrüßen. Die Deutsche Gesellschaft für Soziale Arbeit warnt vor den gravierenden psychosozialen Folgen für die gesamte Bevölkerung mit anzunehmenden massiven Auswirkungen in allen Praxisfeldern der sozialen Arbeit. Sie verbindet damit die Forderung, die Systeme der medizinischen, pflegerischen und psychosozialen Versorgung zu stärken. Ich möchte dies ergänzen um das Feld der Prävention, denn viele der zutage tretenden Gesundheitsprobleme sind präventiven und gesundheitsförderlichen, verhältnisbezogenen Interventionen zugänglich.

Hier sind wir als Träger und auch als Akteure der Landesarmutskonferenz Berlin gefordert, Lobbyist zu sein, da viele Menschen schon aufgrund ihrer sozialen Lage wenig Möglichkeiten haben, mit ihren Problemlagen in den politischen Prozessen gehört zu werden.  

 

Richard Wilkinson (s. o.) hat 2017 auf dem Kongress Armut und Gesundheit gezeigt, wie und wie hoch die Kosten von Ungleichheit in heutigen Gesellschaften veranschlagt werden können. So steigern sich in (einkommens-)ungleicheren Gesellschaften die seelischen Probleme und der Drogenkonsum, die Fettleibigkeit, gewalttätiges Verhalten und Gefängnisaufenthalte, Teenagerschwangerschaften. Das kindliche Wohlbefinden hingegen nimmt ab ebenso wie schulische Leistungen und soziale Mobilität. 

Daher wird eine zentrale Frage aus der Perspektive von Public Health sein, ob es uns gelingt, die Ungleichheiten in unserer Gesellschaft trotz Krise nicht weiter wachsen zu lassen, oder - noch besser - zu reduzieren.

 

Herr Pospiech, haben Sie herzlichen Dank für das Gespräch! 

Kirstin Wulf